Kurator Rüdiger Lange im Interview – GLINT Kamingespräche

Kurator Rüdiger Lange im Interview – GLINT Kamingespräche

Kurator Rüdiger Lange im Interview – GLINT Kamingespräche 670 446 GLINT

In unseren Kamingesprächen stellen wir Ihnen Partner des GLINT und Persönlichkeiten aus Berlin vor. Im ersten Teil lernen Sie den Kurator und Kunst- und Kulturmanager Rüdiger Lange kennen. Er arbeitet seit über 20 Jahren als künstlerischer Leiter mit dem Projektentwickler vom GLINT, der COPRO, zusammen und ist Gründer der Plattform „loop – raum für aktuelle kunst“. Einen Schwerpunkt seiner Arbeit bildet die Zwischennutzung von Immobilien für Kunst- und Kulturprojekte. Im GLINT hat Rüdiger Lange im Rahmen seiner Reihe „Standard International“ eine vielbeachtete Ausstellung rund um das Thema Licht inszeniert.

Foto: Andreas Schimanski, Berlin

Wie kam es zu Ihrer Zusammenarbeit mit der COPRO und GLINT in Berlin?

Ich arbeite schon seit über 20 Jahren mit dem CEO von COPRO Marc F. Kimmich zusammen. Wir haben uns bei seinem ersten Projekt als Immobilienentwickler für die Edison-Höfe in Berlin kennengelernt. Damals haben wir ein umfassendes Programm für die kulturelle Zwischennutzung der Höfe erstellt. Wir haben Ausstellungsflächen geschaffen, Atelierräume erschlossen, es gab Musik-Events und sogar einen Club. Der Ort wurde zu einem Melting Pot für Kreative, es entwickelte sich eine tolle Dynamik. Im Zuge dieses Projekts hat sich herausgestellt, dass Immobilienwirtschaft und kulturelle Aktivität eine perfekte Partnerschaft eingehen können.

Mit diesem Vorgehen waren wir Pioniere. Was Berlin damals ausmachte, war die Verfügbarkeit von Räumen für die künstlerische Produktion. Diese kosteten sehr wenig oder waren sogar umsonst. Viele sogenannte volkseigene Gebäude wurden nach dem Mauerfall nicht mehr staatlich kontrolliert und standen plötzlich leer. Und diese Räume haben die Kunst- und Kulturschaffenden einfach adoptiert. So entstand in kurzer Zeit eine lebendige Szene aus Mode, Kunst, Musik und Projektkultur. Die Kreativen haben in diesen leerstehenden Gebäuden produziert, präsentiert und teilweise auch gelebt. Das hatte eine große Sogwirkung. Plötzlich kamen auch internationale Künstler und Künstlerinnen nach Berlin, weil sich herumgesprochen hatte, dass hier ein spannender Ort mit vielen Freiräumen existiert. Diese Konstellation war der Nährboden für das kreative Berlin der letzten 30 Jahre.

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In der Folge haben Sie verschiedene weitere Ausstellungen in Berlin mit der COPRO realisiert. Neben dem GLINT unter anderem im ehemaligen Hauptpostamt Geisberg in Berlin Schöneberg oder im B-Part Am Gleisdreieck. Wie funktioniert der Dialog zwischen historischen Räumlichkeiten, Kunst und Besuchern in der Praxis?

Wenn ich mir als Kurator ein Objekt anschaue, dann ist es für mich wichtig, was das Gebäude ausmacht: Wie verbindet sich die Kunst mit der Architektur? Wie funktioniert das Zusammenspiel aus Funktion und Ästhetik? Beim Geisberg handelte es sich zum Beispiel um ein Schöneberger Postamt aus den 20er Jahren. Das war für mich interessant, weil man in dieser Zeit damit begann, zwischen Form und Funktion abzuwägen. Es gab einerseits noch expressionistische Ansätze und eine Art Dekorsprache. Andererseits gab es schon die Strenge und Klarheit der Moderne. Von dieser Mischung zeugt besonders die große Schalterhalle mit ihrer expressionistischen Deckenmalerei. Vorher stand der Postbeamte dem Besucher in einer Schalterkabine gegenüber, ganz unnahbar. Jetzt fand sich der Kunde plötzlich in einer weiten, modernen Halle wieder. Das war für diese Zeit ein sehr innovatives, innenarchitektonisches Konzept.

Wichtig war mir, dass die Kunst in ihrer Autonomie in die Räume eingeht. Ich habe die Künstler also nicht darauf verpflichtet, auf das Gebäude und seine Geschichte einzugehen. Mein Ziel war vielmehr, dass Raum, Kunst und Architektur als eigenständige Einheiten in einen gleichberechtigten Dialog treten.

So wird vor den Augen des Besuchers eine geschichtliche Dimension in die Gegenwart überführt. Die denkmalgeschützte Substanz verschmilzt mit einer modernen Sprache. In gewisser Weise nehme ich so subtil den Prozess der Renovierung vorweg. Genau hier setzt die vermittelnde Rolle von Kunst und Kultur an. Durch die Ausstellung wurde das Gebäude noch einmal öffentlich zugänglich und der Aspekt der Veränderung für die Besucher erlebbar gemacht. Ich möchte die Menschen an solche besonderen Orte führen und sie behutsam auf die kommende Veränderung hinweisen. Darin besteht die Intention meiner Arbeit als Kurator.

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Im GLINT haben Sie die Ausstellung „#4 Spatial Clearings“ realisiert. Was macht dieses Gebäude und dieses Projekt für Sie so besonders?

Das GLINT war für mich eine Zeitmaschine – mit dem Durchschreiten des Hauses reiste man selbst durch kleine Details wie Deckenstuckaturen, Ornamente oder Tapetenreste von der Kaiser- und der Gründerzeit, durch beide Weltkriege bis zur der Zeit nach dem Mauerfall und der jetzt anstehenden Renovierung. Das Gebäude stand über 15 Jahre leer und nach dem Mauerfall wurde dort nie großartig renoviert. COPRO hat es dann 2015 gekauft. Ich kannte es natürlich, weil ich in der Nähe meine Galerie hatte. Das Gründerzeitensemble fand sich in einem Dornröschenschlaf. Insbesondere die Gerüche und die typischen Materialien des DDR-Chics – alles war noch wie nach dem Mauerfall. Ein gutes Beispiel für die Gründerzeit wiederum ist der Hinterhof: der war völlig unentdeckt, ohne ein einziges Graffiti. Deshalb wurden dort zum Beispiel auch diverse Filme produziert, für die man ein historisches Gebäude in Berlin benötigte: Berlin Babylon, Deutschland 86, Wendezeit und viele andere. Für die war der Hof die perfekte Kulisse, da musste man nicht viel verändern.

In der Ausstellung habe ich ein Projekt zum Thema Licht als skulpturales Material realisiert. Ich wollte präsentieren, wie Licht entsteht, wie es sichtbar wird. Dafür eignete sich das Gebäude hervorragend. Pro Raum wurde immer eine Arbeit ausgestellt. Die Räume wurden vorher zwar teilsaniert, die historische Dimensionen und Atmosphäre blieben aber erhalten. Dadurch haben sich die Besucher nicht nur mit der ausgestellten Kunst beschäftigt – es war immer ein gleichberechtigter Dialog zwischen Objekt und Raum. Alle architektonischen Aspekte wurden so als Teil der Ausstellung präsentiert und in Kombination mit den Exponaten wurde daraus ein Gesamtkunstwerk. Wenn man die Autonomie der Substanz beibehält und dann Objekte hinzufügt, gelingt ein zeitgenössischer Diskurs.

Die Ausstellungen hatten auch eine gesellschaftliche Qualität: Durch die Öffnung des Gebäudes kamen unzählige Besucher. Davon einige Menschen, die dort einmal gewohnt haben oder es von früher kannten. Einmal kam eine Dame zufällig mit ihrem Mann vorbei, um ihm das Gebäude zu zeigen, in dem ihre Großmutter früher gewohnt hatte. Die beiden waren ganz überrascht, dass die Türen zum GLINT offenstanden. So kamen wir ins Gespräch und ich habe sie in die frühere Wohnung der Großmutter geführt. Die Dame erkannte alles wieder und entdecke zum Beispiel Tapetenreste aus den 70er Jahren. Sie konnte ihre Erinnerungen wieder zum Leben erwecken. Solche Momente sind für mich etwas ganz Besonderes. Das ist auch auf andere Besucher übertragbar.

Durch die künstlerische Phase der Öffnung und Ausstellungen ermöglicht man eine aktive Auseinandersetzung mit dem was war, was ist und was werden soll.

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Worin sehen Sie als Kurator Ihre größte Herausforderung?

Ich habe mich immer als Seismograph gesehen. Als jemanden, der beobachtet, was passiert, der mit künstlerischen Positionen im Austausch steht und beobachtet mit welchen Themen die Inszenierungen und Besucher der Ausstellungen sich beschäftigen. Als Kurator sollte ich nicht nach meinem persönlichen Geschmack gehen. Ich muss einen repräsentativen Blick entwickeln, der die Ansätze und Gedanken vieler Leute aufgreift. Die Herausforderung liegt vor allem darin, den Zeitgeist zu erkennen.

Es geht darum, zu zeigen, wie sich eine Gesellschaft verändert. Das betrifft z. B. die Einflüsse des Digitalen auf das Private und die Arbeit. Aber auch die ökologische Situation, Mobilität, Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind Themen, die uns alle betreffen. Ich suche künstlerische Projekte, die auf genau diese gesellschaftlichen Fragen eingehen und neue, konstruktive Impulse geben. Darum geht es auch bei meinen Ausstellungen im B-Part Am Gleisdreieck, einem innovativen Labor für die Stadt der Zukunft am Gleisdreieck in Berlin. Hier entwickeln wir anhand von den drei Kernthemen Neues Arbeiten, Mobilität, Sport & Gesundheit, Kunst & Kultur sowie Verantwortungsbewusstsein Visionen für das Stadtquartier der Zukunft. Für meine Arbeit ist die Auseinandersetzung mit solchen Themen aktuell und spannend.

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Was macht Ihrer Meinung nach die Kunstszene in Berlin aus? Welche Hoffnungen und Wünsche haben Sie für die Zukunft?

Früher gab es im Osten der Stadt durch den Leerstand ein Vakuum, dass nur durch uns Kreative und Kulturschaffende gefüllt werden konnte. In der Zeit, als die Räume noch unbeschrieben waren, wurden sie beispielsweise durch die Clubkultur, Mode, Design, Projektkunst und Galerien frei gestaltet. Es erwuchs alles aus den Subkulturen, sodass keine Pläne für die Stadtentwicklung nötig waren. Die Stadtplaner haben sich erst später angeschaut, was da geschaffen wurde. Genau dieser Freiraum hat Berlin so besonders und international berühmt gemacht. In den letzten Jahren hat sich allerdings einiges verändert. Ateliers sind zu teuer und nicht mehr so einfach zu bekommen, die Produktionsgrundlage für Künstler wackelt. Selbst kommerzielle Galerien haben Probleme wirtschaftlich zu überleben. Das macht der Kunst in Berlin zu schaffen.

Ich bleibe aber trotzdem optimistisch. Es findet gerade ein positives Umdenken statt, was die künstlerische Produktion angeht und das Verständnis, wofür sie gebraucht wird. Immer mehr Entscheidungsträger realisieren, dass eine Stadt wie Berlin, die viele Künstler anzieht, dadurch selbst an Wert und Anziehungskraft gewinnt. Deshalb ist es für die Stadt der Zukunft so wichtig, die künstlerische Position – das Denken und die Haltung – mit in die Planung einfließen zu lassen. Dafür versuche ich mit meiner Arbeit die Grundlagen und Strukturen zu schaffen. Mein Wunsch ist, dass sich Förderprogramme etablieren, damit Atelierräume und Projekträume für Künstler erhalten bleiben. Ideal wäre, unter den gegebenen Umständen, natürlich eine zusätzliche Förderung. Wenn dazu innovative Ansätze durch die Stadtverwaltung und Immobilienwirtschaft in Zukunft verstärkt umgesetzt werden, hat Berlin weiterhin eine Perspektive.

Herr Lange, wir danken Ihnen für das interessante Gespräch.

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